Die Emotionen über die vom Landkreis beschlossene Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Upahl schlagen vor Ort hohe Wellen. Was kann, was muss getan werden, um einerseits Menschen, die vor Verfolgung, Krieg, Gewalt geflohen sind, menschenwürdig zu helfen, ohne dabei Menschen in den aufnehmenden Orten zu überfordern?

Viele Menschen verfallen in solchen Situationen rasch in "schwarz-weiß"-Denken: "Wir sind nicht gegen die Flüchtlinge, aber hier und so viele wollen wir nicht", oder auf der anderen Seite: "Wir müssen allen, die verfolgt werden, helfen, egal wie das Umfeld aussieht."

Dabei geht es doch in Wirklichkeit um eine andere Frage: Schaffen wir es, Menschen, die vielfach Schlimmes miterlebt haben, menschenwürdig Schutz bei uns zu bieten, ohne dass es dabei zu "Schlafkasernen" mit mehreren Hunderten "Kasernierten" kommt, erst recht nicht in Ortschaften, die dann kaum höhere Einwohnerzahlen haben?

Meine feste Überzeugung ist: Das ist möglich und hilft allen. Den Flüchtlingen, die in zu großen Massenunterkünften einen Lagerkoller bekommen, kaum mehr Privatheit haben, oft auch zu wenig Plätze zum Rückzug, zu gemeinsamem Unterhalten, Feiern, Lernen. Die lange Wege zu Ärzten, Behörden, Arbeitsvermittlung haben. Es hilft aber auch den Menschen in kleineren Orten, wenn sie bei überschaubar großen Unterkünften ein vertrauensvolles Zusammenleben mit den Geflüchteten versuchen können.

Doch oft hören wir: "Das Boot ist voll" (Originalton AFD) oder "Die Lage ist so brisant, dass wir keine Unterkunfts-Kapazitäten haben" (Landrat Schomann in den Tagesthemen am 27.1.). Oder CDU-Chef Liskow, der die Kommunen generell "an die Grenzen der Belastungsfähigkeit gebracht" sieht. Da wird ein Bild gemalt, das Angst und Schrecken erregen soll nach dem Motto: Hilfe, Hilfe, wir werden überrollt.

Das aber ist nichts als pure Demagogie. Die realen Flüchtlingszahlen lassen solche Wortführer gern unter den Tisch fallen, denn Fakten könnten stören. Tatsache ist, dass im ganzen gerade abgelaufenen Jahr 2022 laut der Bundesstatistik (Statista) ein Asylantrag pro 344 Einwohner Deutschlands gestellt wurde. Rechnerisch fallen bei Gleichverteilung im Bundesgebiet auf unseren Landkreis also 456 Anträge im Jahr 2022, real bei nicht völliger Gleichverteilung etwas mehr.

Längst nicht jeder Antrag wird aber angenommen, so dass sich diese Zahlen nicht über die Jahre aufsummieren. Auch besteht die Verpflichtung, die Sammelunterkünfte nach Gewährung von Asyl oder Duldung für neue Flüchtlinge zu räumen, mit Hilfe von bereitgestellten Unterstützer*innen in private Wohnungen umzuziehen oder zumindest in "Übergangswohnheime".

Aktuelle Zahlen finden sich auf der Seite des Landkreises aber ausgiebig nur von 2016, nur in kleinen Ansätzen auch im Integrationskonzept des Kreises von April 2022. Dabei wäre Klarheit darüber, womit wir es zu tun haben, der erste Schritt zur Lösung, statt diffuser "Das Boot ist voll"-Parolen.

EIn weiterer Schritt wäre es, wenn die Verantwortlichen im Landkreis, einschließlich des Landrats, endlich kleinere Unterkunftsgrößen (z.B. für maximal 100 Flüchtlinge) nicht mehr ignorieren oder gar ablehnen würden, nur weil das etwas mehr an Aufwand erfordert als eine große Sammelunterkunft. Es gab konkrete Angebote von Privaten (z.B. eines Hotels) wie von Kommunen, einen Teil der Unterkunftsplätze bei sich zu ermöglichen. Das lehnte die Kreisverwaltung ab.

Es stimmt also nicht, wenn Landrat Schomann in den Tagesthemen sagt, er habe überall nur "nein, nein, nein" gehört. Hiermit werden die Menschen im Landkreis hinter die Fichte geführt.

Eine weitere Maßnahme müsste sein, durch raschere Anerkennungsverfahren die Notwendigkeit von Sammelunterkünften zu verringern. Dazu sollen die Verfahren beschleunigt werden, was bereits im Bundestag vereinbart wurde. Auch da geht es zuallererst um menschenwürdige Verfahren:

Nicht der (auch erforderliche) Abschiebeaspekt bei fehlenden Grundlagen für Asyl oder Duldung sollte beim Thema "Verfahrens-Beschleunigung" im Vordergrund stehen, sondern der Aspekt, den betroffenen Menschen mit soliden Bleibegründen rascher einen positiven Bescheid zu ermöglichen, ihnen damit den Start in Ausbildung, Jobs, etc. zu erleichtern. Auch hier ist es schräg, wenn der Landrat in erster Linie die (richtige) Beschleunigung in erster Linie in Zusammenhang mit Abschiebung bringt.

Da Bund und Land die Kosten für die Unterbringung voll übernommen haben, ist es im übrigen auch billig, Bund und Land dafür verantwortlich zu machen, wenn ein Landkreis solche Entscheidungen wie zu Upahl trifft und sich dann über den Protest der Einwohner*innen wundert. Nein, das sind vor allem hausgemachte Probleme:

Zu spät, zu wenig mit den betroffenen Gemeinden abgestimmt, zu starr auf Großunterkünfte fixiert. Der Politik täte es gut, wenn die Verantwortlichen im Kreis mal ihre eigenen Irrtümer eingestehen würden. Sonst freuen sich nur die Rechtsaußen, die die Ängste der Bürger*innen für ihren braunen Aufmarsch instrumentalisieren wollen.

Gerd Matzke